UNIT: Überzahl spielen

Überzahl ist eine numerische Überlegenheit der Spieler auf dem Spielfeld, die in der Regel durch den Ausschluss von gegnerischen Spielern entsteht. Die Bedeutung des Überzahlspiels für die Entwicklung eines Matches ist kaum zu überschätzen, einerseits weil bei einer Nutzung dieses Vorteils ein Tor erzielt werden kann, anderseits auch wegen des psychologischen Ansporns für das andere Team, das trotz numerischer Unterlegenheit kein Tor kassiert. Mit wachsendem Erfolg der Teams beim Überzahlspiel steigt auch die Bedeutung dieser Situation. Beim Training wird das Überzahlspiel in den Nachwuchsklassen wichtiger. Vom Standpunkt der Methodik kann das Überzahlspiel zu den Angriffssystemen gezählt werden.

Was ist ein Überzahlspiel?

Das Überzahlspiel ist eine Spielsituation mit einer ungleichen Anzahl von Spielern der beiden Teams auf dem Spielfeld, meistens im Verhältnis 5-4, 5-3, 4-3. Auch die Situationen 6-5 und 6-4 sowie die seltene 6-3-Situation gehören zum Überzahlspiel; es handelt sich um Situationen, bei denen anstelle des vom Trainer abberufenen Torwarts ein sechster Spieler auf das Spielfeld kommt (sog. „Powerplay“). Der Art des Überzahlspiels kann nicht nur im Hinblick auf die Zahl der ausgeschlossenen Spieler des Gegners verschieden sein, sondern auch hinsichtlich der Dauer des Ausschlusses, also des Strafmaßes.

Das Überzahlspiel gehört heute zu den wichtigsten Abschnitten in einem Match (das gilt für Matches ab der Nachwuchsklasse bis zu den Männern). Während der Zeit, in der ein Team um einen oder sogar zwei Spieler mehr auf dem Spielfeld hat, sind die Chancen, ein Tor zu erzielen, enorm groß. Solche Situationen entscheiden immer öfter über den Ausgang von Matches, deshalb widmen ihnen die meisten Teams sehr viel Zeit, und zwar sowohl in der Angriffs- als auch in der Abwehrphase (Spiel bei Schwächung des Teams).

Der Zeitpunkt, ab wann das Überzahlspiel in einer konkreten Altersklasse trainiert werden soll, ist ein großes Thema, das viel Stoff für Diskussionen bietet. Allgemein ist es wichtig, dass die Spieler ausreichende Voraussetzungen mitbringen müssen, und zwar sowohl gute Spielfertigkeiten der Einzelspieler als auch die Beherrschung der wichtigsten Kombinationen. Erst wenn sie sich diese Elemente angeeignet haben, kann mit dem Trainieren des Überzahlspiels begonnen werden. Es empfiehlt sich nicht, das Trainieren des Überzahlspiels bei der Altersklasse U13 oder darunter einzuplanen.

Wie das Teamspiel bei Überzahl konkret verläuft, ist durch die Handschrift des Trainers viel mehr beeinflusst als bei anderen Tätigkeiten. Jeder Trainer hat eigene Details bei der Kooperation, den Kombinationen oder antrainierten Spielmustern. Dabei geht es um verschiedene Varianten bei der Einleitung von Angriffen, beim Überbrücken der Mittelzone, beim Kombinationsspiel im Angriffsdrittel, bei zum Abschluss führenden Schritten, bis hin zur den Bewegungen und der Aktivität der Spieler nach einem Ballverlust.

Die Bedeutung des Überzahlspiels im Hockey

  • In der Regel hohe Frequenz des Überzahlspiels bei den meisten Matches – im Durchschnitt 4-7 Fälle pro Match (diese Zahl kann je nach der Altersklasse, der Art des Matches und der Motivation der konkurrierenden Teams variieren). Der Ausschluss von Spielern und ihre Bestrafung durch kleinere Strafen ist nichts Ungewöhnliches. So etwas kommt auch bei äußerst anständig geführten Wettkämpfen vor.
  • Führende Teams verweisen auf eine Erfolgsrate von 20-40 % bei Überzahlspielen. Die Erfolgsrate beim Überzahlspiel hängt von den Fähigkeiten der Einzelspieler des angreifenden Teams, von der Spielorganisation des angreifenden Teams und der Spielorganisation des verteidigenden Teams ab.
  • Das Hockey bietet im Unterschied zum Eishockey aufgrund der sog. „Regel über die schwimmende blaue Linie“ mehr Raum für Kombinationen.

Das Team mit einer zahlenmäßigen Überlegenheit von einem oder sogar zwei Spielern hat einen unbestreitbaren Vorteil, daher könnte man mit gutem Grund annehmen, dass dieser Vorteil in ein Tor münden müsste. Die oben angeführte Erfolgsrate deutet jedoch schon an, dass es nicht ganz so einfach ist, aus diesem Vorteil Nutzen zu ziehen. Eine gut beherrschte Abwehrphase und die Raumverteidigung geben dem geschwächten Team eine bedeutende Gegenwaffe in die Hand. Das geschwächte Team betritt das Spielfeld mit einem einzigen Ziel: Kein Tor bekommen! Die Spieler, die sich ihrer Schwächung bewusst sind, geben oft mehr als bei einem Gleichzahlverhältnis auf dem Spielfeld und kämpfen mit ganzer Kraft.

Umgekehrt betritt das Team, das den Vorteil der Überzahl hat, oft mit dem Bewusstsein dieses Vorteils der zahlenmäßigen Überlegenheit das Spielfeld und geht daher weniger konzentriert an diese Spielsystemvariante heran. Viele Spieler spielen dann lax, ohne die nötige Anstrengung und den festen Willen, ein Tor zu erzielen. Beim Überzahlspiel und beim Spiel mit geschwächtem Team ist daher der psychologische Aspekt wichtig, der wiederum mit der Motivation und dem Charakter der einzelnen Spieler zu tun hat.

Allgemeine Grundsätze für das Überzahlspiel:

  • Aus langfristiger Sicht ist ein Erfolg nicht möglich, wenn das Team beim Überzahlspiel nur mit einer Formation spielt.
  • Bei guten Teams herrschen beim Überzahlspiel zwei spezielle Formationen vor.
  • Die speziellen Formationen des Überzahlspiels spielen nicht nach denselben Mustern. Jede Formation muss bei einer Überzahl ein anderes und unterschiedliches Spielsystem haben.
  • Die für das Überzahlspiel bestimmten Formationen sollten eine unterschiedliche Zusammensetzung haben (die Spieler mischen sich an den verschiedenen Posten – das gilt auch für die Männerklasse).
  • Zentrale Punkte für die erfolgreiche Nutzung einer zahlenmäßigen Überlegenheit sind das schnelle Vorrücken in die Angriffszone bzw. das Erringen des Balles beim Anspiel in der Angriffszone.
  • Druck auf den Gegner aufbauen mit dem Ziel, ihn in die passive Defensive zu drängen bzw. die Kompaktheit seiner Raumverteidigung zu stören.
  • Einen Gegenangriff des geschwächten Gegners nicht unterschätzen, einer der Spieler sichert die ganze Aktion.

Phasen des Überzahlspiels

  • Einleitung des Angriffs,
  • Überbrücken der Mittelzone und Vorrücken in das Angriffsdrittel,
  • Abschluss.

Die Einleitung des Angriffs hat dieselbe Bedeutung wie beim Spiel mit einem Gleichzahlverhältnis. Man muss immer mit einer organisierten Verteidigung des Gegners rechnen, und zwar bereits in der Angriffszone. Die Einleitung kann als Grundstein des Überzahlspiels bezeichnet werden, denn eine effektive und zweckmäßige Einleitung erhöht die in der Angriffszone zugebrachte Zeit und beeinflusst so den Gesamterfolg des Überzahlspiels.

Die Einleitung erfolgt meistens aus der eigenen Verteidigungszone oder aus Reorganisationen des Spiels in der Mittelzone, meistens durch die Entwicklung eines Angriffs auf der schwachen Seite des Spiels.

Möglichkeiten der Einleitung eines Angriffs beim Überzahlspiel:

  • Einzelaktionen eines Spielers (auch mit Aushilfe von Teamkollegen);
  • Kooperation in Form der Kombination eines abgestuften Angriffs (mittels kurzer Pässe oder durch das Überlassen des Balles);
  • langes Zuspiel zum Vorrücken aus der Verteidigungs- in die Mittelzone.

In der Mittelzone droht das Risiko eines Ballverlustes und eines gegnerischen Gegenangriffs, deshalb ist einfaches Spiel mit Nachdruck auf zweckmäßigen Kombinationselementen ratsam.

Möglichkeiten der Überbrückung der Mittelzone bei Überzahlspiel:

  • Einzelspielaktionen;
  • Kooperation der angreifenden Spieler (wird besonders gegen Teams eingesetzt, die den Gegner nicht schnell angehen, die blaue Linie des Verteidigungsdrittels nicht verteidigen oder sich in die Tiefe des Verteidigungsdrittels zurückziehen);
  • Den Ball anschießen bzw. abprallen lassen.

Das erfolgreiche Überschreiten der blauen Linie stellt einen Schlüsselmoment eines Überzahlspiels dar. Der ballbesitzende Spieler gerät beim Vorrücken unter Druck, was erhöhte Ansprüche an eine gute Ballabdeckung und auch an die Koordination mit den anderen Spielern des eigenen Teams stellt, die sich durch ihre Bewegungen in freien Räumen anbieten oder den ballbesitzenden Spieler doppeln.

Die Zusammenarbeit der Angreifer in der Mittelzone lässt sich mit einer Angriffsaktion 3-2 oder 3-3 vergleichen. Hier empfiehlt sich eine Aktion mit einem Zuspiel und anschließendem Vorrücken in die gegnerische Verteidigungszone.

Das Anschießen des Balles und anschließende Erringen des Balles ist eine weitere Variante des Vorrückens in die Angriffszone bei einem Überzahlspiel. Dabei geht es nicht um ein kopfloses Anschießen des Balles gegen ein Hindernis, sondern um eine antrainierte Handlung, bei der auch die einzelnen Aufgaben der Spieler definiert sind. Der Ball kann an der Bande angeschossen werden oder aber diagonal in der Absicht, ihn von der starken auf die schwache Seite zu bringen. Das Erringen des Balles ist eine Sache der Zusammenarbeit unter den Spielern. Der erste Spieler blockt meistens den Gegner und ermöglicht so dem zweiten Spieler, den Ball zu bekommen. Wesentlich ist auch die Position des dritten Angreifers, der durch seine Position auf der schwachen Seite (gegenüberliegende Ecke oder Spielfeldseite) beim Annehmen eines Passes ein aggressives Vorgehen des Gegners eliminieren und dadurch die Einnahme der grundlegenden Aufstellung beim Überzahlspiel erleichtern kann.

Auch der Anschuss auf den Torwart des verteidigenden Teams als Versuch, das Anspiel in der Angriffszone zu erzielen, muss erwähnt werden. Für ein solches Vorrücken in die Angriffszone zieht man am besten Verteidiger heran. Der Schuss, der zum gegnerischen Tor abgeht, braucht nicht heftig zu sein. Wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Angreifern, die durch ihre Bewegungen in Richtung des Tores verhindern müssen, dass der Torwart den Ball herausgeben kann.

Das Anspiel hat beim Überzahlspiel eine unentbehrliche Funktion. Ein verlorenes Anspiel im Angriffsdrittel und anschließendes Ausspielen des Balles kann beim Überzahlspiel eine Einbuße von 10-20 Sekunden zur Folge haben. Geht der Ball – nicht nur nach dem Anspiel – verloren, sind koordinierte Aktivitäten der Spieler mit dem Ziel nötig, den Ball wieder unter die eigene Kontrolle zu bringen. Die Koordination der Spieler bei den Bewegungsaktivitäten hat folgende Funktionen:

  • Aufbau von Druck und Attackieren des Gegners in der Phase, in der das zahlenmäßig überlegene Team den Ball nicht besitzt;
  • Anbieten in freien Räumen in der Phase, in der das zahlenmäßig überlegene Team den Ball wieder unter seine Kontrolle bekommen hat;
  • schnelle Reorganisation des Angriffs.

Der Abschluss eines Überzahlspiels kann als antrainiertes Basismuster in Kombination mit Improvisationen einzelner Spieler realisiert werden. Ein Weg zum Erzielen eines Tores sind häufige Schüsse und Zuspiele, und zwar dann, wenn ein Spieler im Torraum aktiv handelt und dabei den Torwart engagiert abschirmt. Der Abschluss eines Überzahlspiels steht im Zeichen eines wiederholten Spiels in einer 2-1-Situation, dabei ist darauf zu achten, dass der ballbesitzende Spieler stets die Möglichkeit hat, einen Pass zu einem freien Spieler zu spielen. Die häufigsten Kombinationselemente bei einem Überzahlspiel sind:

  • Rotation von zwei oder drei Spielern;
  • Kooperation zwischen dem Spieler bei der Bande und dem Spieler an der blauen Linie;
  • Kooperation zwischen den Spielern an der blauen Linie;
  • Kooperation zwischen dem Spieler auf der starken und jenem auf der schwachen Seite;
  • Aushilfe in 1-1-Situationen mit deren Verwandlung in 2-1-Situationen (Doppeln).

Vorsicht beim Zuspielen ohne Druck auf das Tor, es ist für den Gegner vorteilhaft. Es ist kein Weg zum Tor, sondern zu einem Zeitverlust im Hinblick auf das Erreichen eines effektiven Abschlusses des Überzahlspiels. Vergessen wir nicht, dass das Überzahlspiel eine Verbindung aus antrainierten Fertigkeiten und der Fähigkeit zur Improvisation, also dem spontanen Einfall einer unerwarteten Lösung, ist.

Aufstellung der Spieler beim Überzahlspiel im Angriffsdrittel

Meistens haben wir es mit einem 5-4-Spiel zu tun. In der Praxis werden in der Regel folgende zwei Verteilungen angewendet:

  • zwei Spieler an der blauen Linie (diese Aufstellung ist auch beim Trainieren in der Schülerklasse ratsam) – der Vorteil besteht darin, dass die rechte und auch die linke Seite genutzt werden können und zu einer Vielzahl von weiteren Modifikationen übergegangen werden kann.
  • ein Spieler an der blauen Linie.

Welche Aspekte sind beim Überzahlspiel wichtig?

Technische Aspekte:

  • Technisches Niveau der Spieler;
  • Improvisationsfähigkeit der Spieler;
  • Orientierung auf kleiner Spielfläche und Durchsetzungsfähigkeit im gegnerischen Torraum.

Taktische Aspekte:

  • Gute Vorbereitung des Überzahlspiels (verantwortlich ist dafür vor allem der Haupttrainer);
  • Auswahl einer Variante des Überzahlspiels, z. B. je nach der Strategie und der Leistungsfähigkeit des Gegners, nach der eigenen Leistungsfähigkeit, dem Milieu und den Bedingungen (z. B. Spielfeldgröße). Mit der Variante des Überzahlspiels sind die Einleitung des Überzahlspiels und die Prinzipien der Spieleraufstellung gemeint sowie der damit zusammenhängende Abschluss der Aktion gemeint.
  • Einfluss haben darauf auch die technischen Aspekte = das Niveau der Spielaktivitäten der einzelnen Spieler oder die Stockhaltung der Spieler, die an Überzahlformationen beteiligt sind.

Psychologische Aspekte:

  • Das durch die zahlenmäßige Überlegenheit ausgelöste Sicherheitsgefühl kann den Einsatz der Spieler dämpfen.
  • Die Spieler, die in ein Überzahlspiel gehen, müssen das nötige Maß an Selbstvertrauen mitbringen.
  • Eine nicht genutzte Überzahl kann einen Vorteil oder eine Motivation für die gegnerischen Spieler bringen.

Konditionelle Aspekte:

  • Die energetische Deckung liegt gewöhnlich in der aeroben Zone. Dies bekräftigt das Erfordernis von zwei guten Formationen für das Überzahlspiel.

Anforderungen an die Spieler:

  • Antizipation und die Fähigkeit, das Spiel zu lesen;
  • Improvisation und Kreativität (z. B. die Befähigung zu Täuschungen und Finten);
  • Spiel auf kleinem Raum und unter Druck (besonders in 2-1-Situationen);
  • präziser und schneller Schuss (auch ohne Vorbereitung);
  • effektives Zuspiel mit allen dazugehörenden Aspekten;
  • Fähigkeit, den Gegner auf sich zu binden, zu blocken oder abzuschirmen;
  • Orientierung im Schusskreis (Abschirmen und Attackieren).

Das Trainieren des Überzahlspiels:

  • Der erste wichtige Schritt ist die theoretische Vorbereitung.
  • In den Klassen U12 und U9 empfiehlt es sich nicht, das Überzahlspiel zu trainieren.
  • In der Klasse U15 spielt das Training des Überzahlspiels nur eine ergänzende und marginale Rolle (eine Einplanung bei den Klassen U12 und darunter wird nicht empfohlen).
  • Ab der Nachwuchsklasse erfolgt ein spezialisiertes Training des Überzahlspiels.
  • Das Training befasst sich mit allen Phasen des Überzahlspiels (Einleitung, Überbrücken einer Zone und Vordringen in eine Zone, Abschluss).
  • In der Anfangsphase wird ohne Widerstand (ohne Gegner) oder mit verringertem Widerstand (niedrigere Zahl an verteidigenden Spielern oder umgedrehte Stöcke der verteidigenden Spieler) trainiert.